Diese Woche fühlte sich an wie zwei Welten zur selben Zeit. Auf der einen Seite Politikblockade in den USA, auf der anderen Seite Börsenlaune wie aus dem Bilderbuch. Während der längste Government Shutdown der US-Geschichte mühsam endet und die Verwaltung erst langsam wieder hochfährt, klettert der ATX Total Return still und leise auf ein neues Rekordniveau.
Der Shutdown zeigt, wie verletzlich selbst eine Supermacht ist. Millionen Menschen ohne Lohn, Chaos bei Flügen, wichtige Konjunkturdaten fehlen. Die Notenbank trifft Entscheidungen mit eingeschränkter Sicht. Ein Espresso am Morgen beruhigt zwar die Nerven, ersetzt aber keine Gehaltsüberweisung und keine Planungssicherheit.
Ganz anders das Bild am Kapitalmarkt. Der ATX hat erstmals die 12.000-Punkte-Marke genommen. Fast unbemerkt, aber mit beachtlicher Dynamik. 2025 zählt Österreich damit zu den stärkeren Aktienmärkten. S&P 500, Nasdaq oder DAX liegen zwar im Plus, wirken im Vergleich aber weniger spritzig. An den Börsen werden Erwartungen gehandelt. Und die sind aktuell deutlich optimistischer als die Lage in der Realwirtschaft.
Denn dort bremst Europa spürbar. Österreich, Deutschland und Finnland gehören laut IWF zu den Wachstumsschlusslichtern. Rund 0,3 Prozent Plus sind wenig, wenn andere Regionen fünf bis sieben Prozent erreichen. Mehr als die Hälfte aller Volkswirtschaften mit weniger als einem Prozent Wachstum stammen aus Europa. Gleichzeitig steigen hierzulande die Firmenpleiten, während Unternehmensgründungen kaum zulegen. Das ist kein Alarmismus, sondern ein Signal. Der Standort braucht neue Ideen, Kapital und Mut.
Trotzdem erlebe ich im persönlichen Austausch auch eine andere Seite. Bei meiner Keynote auf der „Treasury Night“ der Steiermärkischen Sparkasse traf ich auf steirische Leitbetriebe, die leise, aber entschlossen arbeiten. Viel Innovationskraft, klare Strategien, internationale Vernetzung. Die Steiermark ist besser aufgestellt, als es die Schlagzeilen vermuten lassen.
Der Bankensektor präsentiert sich robust. Hohe Kapitalquoten und solide Puffer sorgen für Stabilität. Sorgen macht vor allem der Bereich Gewerbeimmobilien. Dort bleibt die Lage angespannt, auch wenn sich der restliche Kreditmarkt stabil zeigt.
Unterm Strich erlebe ich ein spannendes Spannungsfeld. Ein unscheinbarer Champion an der Börse. Eine unübersehbare Bremsspur in der Realwirtschaft. Und ein Kontinent, der in vielen Bereichen hinterherhinkt, aber gleichzeitig viele stille Stärken hat. Ob wir noch eine Jahresendrallye sehen oder schon im Kopf bei 2026 sind, bleibt offen. Entscheidend ist, dass Europa den Übergang von der Erwartung zur Lieferung schafft.
🔻Die ganze Kolumne findest du unter folgenden Links:
PDF: Logbuch des Börsianers vom 15.11.2025
e-fundresearch: Börsenbarometer
FH JOANNEUM: Wöchentlicher Börsenbrief


